Spiritualität – eine Seinsform
Als spiritueller Mensch musst du gut, arm und immer immer immer entspannt sein. Du musst vegan essen und darfst keinen Sex haben. Du musst täglich viele Stunden eine ganz bestimmte Art von Meditation ausführen, Yoga machen und dich und deine Emotionen zu hundert Prozent unter Kontrolle haben. Du darfst niemals einen Fehler machen. Du darfst unter keinen Umständen jemals ein anderes Lebewesen verletzen. Du musst dich, alle Lebewesen, das Universum, deine Existenz und das Leben immer und unter allen Umständen lieben. Du musst Mantras chanten, Mandalas malen und darfst dir auf keinen Fall die Haare färben. Du musst dich selbst als spirituell wahrnehmen und daraus einen „ich bin besser als du – Status“ ableiten, da dich dies befähigt, anderen Menschen beizubringen, wie sie auch so schön spirituell werden können wie du.
Dies ist eine etwas augenzwinkernde Beschreibung, die nichtsdestotrotz ziemlich zutreffend ist. Denn leider wird auch in der modernen Suche nach geistiger Reife – Spiritualität – derselbe Fehler wiederholt, wie auch schon in der Vergangenheit von allen grossen Religionen:
Es werden Regeln ausgegeben, deren strikte Befolgung den Menschen zur geistigen Reife führen soll. Doch Reifung ist ein innerer Prozess des Erfahrens, des Erkennens und des Lernens und kann daher nicht durch das unreflektierte Befolgen von Normen erreicht werden.
Nicht äussere Regeln schaffen innere Weisheit, sondern ein echtes Erkennen im Inneren kann zu Veränderungen im Verhalten führen.
Ein Mensch, der sich auf den spirituellen Weg macht, also auf den Weg der geistigen Entwicklung, der wird sich mit seinen Werten auseinandersetzen. Gesellschaftliche, religiöse, familiäre und wirtschaftliche Werte dürfen hier angeschaut, bewertet und anschliessend integriert oder verworfen werden. Allein dieser Vorgang führt, im besten Fall, zu einer völlig anderen Bewusstseinsebene, denn hier beginnt der Mensch sich abzugrenzen von dem, was immer schon so gemacht wurde und von dem, was alle machen (und von dem, was das Fernsehen sagt). Hier findet eine Öffnung statt und es gibt plötzlich Raum für neue und vielleicht „bessere“ Gedanken, Erkenntnisse und so auch für andere Werte. (Vielleicht sogar für ein Weitergehen, Weiterlernen)
Aufgrund dieser Werteverschiebung wird ein spirituell orientierter Mensch auf seine Gedanken achten und so eine gewisse Kontrolle über seine Gefühle und seine Handlungen erlangen. Denn es ist ja klar: wer immer denkt „ich kann das nicht“, der wird sich minderwertig und klein fühlen und entsprechend gebremst in seinen Handlungen sein, was selbstredend zu dem Ergenis führt, dass er es tatsächlich nicht kann. Wenn ich nun die Verantwortung für meine Gedanken übernehme und mich dazu entscheide „ich kann das“ zu denken, so hat dies ebenso Auswirkungen auf mein Verhalten. Mein Gedanke führt zu einer höheren Meinung von mir selbst, zu mehr Zutrauen in meine Fähigkeiten und so zu einer stärkeren Motivation und besserem Können in meinen Handlungen, was automatisch zu einer Verbesserung des Ergebnisses führt. Im menschlichen Miteinander könnte es zum Beispiel eine Abkehr von „was nimmst du mir“ (machtloser, ängstlicher Gedanke des Mangels) hin zu „was kann ich dir geben“ (machtvoller, liebender Gedanke der Fülle) sein. Im Aussen würde sich das als „gut sein“ manifestieren, doch es ist ein echtes, liebendes, von Herzen kommendes Geben und kein aufgezwungenes Hergebenmüssen.
Ein Mensch mit grösserer Reife wird irgendwann erkennen, dass ihn materieller Überfluss nicht erfüllt. Mancher mag seinen Besitz dann weggeben, doch mancher mag ihn auch weiterhin dankbar geniessen als Ausdruck der Fülle und als Möglichkeit, Freude zu erleben und zu verschenken. Das Geld wird zu einem Werkzeug und ist nicht mehr Lebensgrund. Spirituell und reich zu sein ist keinesfalls ein Widerspruch!
Durch die Veränderung der inneren Werte verändert sich auch die persönliche Energie des Menschen. Je mehr Liebe, Freude, Dankbarkeit ich empfinde, desto höher schwingt meine Energie. Mit der Zeit führt das zu Veränderungen im Verhalten. Vielleicht habe ich ein grösseres Bedürfnis, mich in der Natur aufzuhalten oder ich finde plötzlich eine andere Musikrichtung schön. Eventuell mag ich andere Dinge essen und trinken. Und unter Umständen möchte ich manche Menschen nicht mehr um mich haben. Es kann also gut sein, dass ich tatsächlich Spass habe an Yoga, Mantras und Mandalas weil ich mich einfach gut fühle bei diesen Aktivitäten; dass ich wirklich meinen Freundeskreis verkleinere, weil ich keine Affinität mehr habe, nächtelang durch Kneipen zu ziehen; dass ich anfange, mich vegetarisch oder vegan zu ernähren, weil mein Körper keinen Bedarf an tierischer Nahrung mehr hat. Und vielleicht will ich meine Haare echt nicht mehr mit diesen ganzen Chemikalien einschmieren, sondern stehe zu meinen Grauen. Es sind dies nun aber Veränderungen, die langsam in mir selbst entstehen, die sich zeitgleich mit meiner geistigen Entwicklung verändern und nicht etwas von aussen und/ oder mit dem Kopf Entschiedenes. Es ist beispielsweise kein Verzicht, kein Fleisch zu essen, denn etwas, auf das ich keinen Appetit habe möchte ich ja gar nicht essen!
Sehr wahrscheinlich wird der Mensch auf seiner spirituellen Reise früher oder später mit Meditation in Berührung kommen. Der Rückzug in die Stille und die Begegnung mit sich selbst und der eigenen (göttlichen) Essenz ist sehr wichtig. Es kommt aber überhaupt nicht auf die Form der Meditation an! Er braucht keine Gurus, Kurse oder sonst etwas dafür. Er muss nicht im Lotussitz reglos über Stunden verharren und dabei nur dreimal atmen! Und er muss nicht aufhören zu denken! Meditation ist ein völlig natürlicher Zustand der Stille und der Verbindung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die energetische Veränderung bringt den Menschen automatisch zur Meditation, zur Schwingungserhöhung, zur Meditation…….
Das bewusste Feiern der Sexualität ist der höchste Ausdruck von Gemeinsamkeit zwischen zwei Menschen. Im Rahmen der sprirituellen Entwicklung verändert sich die Sexualialität vom reinen körperlichen Geniessen zu einer exstatischen Erfahrung des Göttlichen. Die Veränderung vom eher trieb- und hormongesteuerten Sex hin zu dieser Erfahrung kann nicht im Aussen, z.B. in einem Tantrakurs erlernt werden sondern geht Hand in Hand mit der inneren, geistigen Entwicklung des Menschen. Die Bedürfnisse verändern sich und das Erleben verändert sich.
So ist es denn nun in allen Bereichen des täglichen Lebens: beim Essen und Trinken, beim Sex, im Umgang mit anderen Menschen, im Umgang mit anderen Lebewesen und im Umgang mit mir selbst – die Entwicklung findet im Inneren statt und beeinflusst damit das Aussen. Eine von aussen aufdoktrinierte Regel kann keine geistige Entwicklung in einem Menschen auslösen. Und so wird jeder echte geistige Lehrer, Meister, Lichtarbeiter, Heiler oder Wegbereiter dir gerne von seinen eigenen Erfahrungen berichten und dich ansonsten anleiten, selbst herauszufinden, wer du bist, wer du sein möchtest und wo du hingehst.
Spiritualität ist nicht Tun, sondern Sein.
In diesem Sinne: geniesse den Tag!
Deine Nicole